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Wetter   Sonne, Wolken Temperaturen: Tag: 26 Grad Nacht:   7 Grad
Wenn dem Reifen der Kragen platzt Es   weht   ein   heisser   Wind   am   Horizont,   als   wir   durch   die   endlose   Prärie   von   Wyoming   rollen.   Der   Asphalt   glänzt   schwarz und   schwer   unter   der   Mittagssonne.   34   Grad   zeigt   das   Thermometer,   die   Landschaft   ist   trocken   wie   Zunder.   Wir   hatten Lusk   vor   etwa   30   Minuten   hinter   uns   gelassen,   ein   Städtchen,   das   einer   Westernkulisse   in   einem   John   Wayne   Film   dienen könnte.   Der   Wind   weht   kleine   Sandspiralen   über   die   Strasse.   Es   ist   genau   11:11   Uhr.   Ich   weiss   es   so   genau,   weil   ich   ganz   im   Geiste   deutscher   Effizienz   –   zufällig   auf   die   Uhr   sehe.   Ich   sehen   genau   in   dem   Moment   die   vier   magischen Ziffern,   als   es   passiert:   Bei   105   km/h   -   ein   Knall.   Kein   sanftes   „pfffft“   wie   ein   Kissen,   das   resigniert   zusammensackt   –   nein. Es ist dieser akustische Urknall des Gummiversagens. Der Soundtrack zu einem „Oh-oh!“-Moment. „Was   war   das?“   frage   ich   Ingo,   der   gerade   so   guckt,   als   hätte   ihm   jemand   mitten   in   der   Fahrt   die   Strasse   geklaut   und durch   einen   Acker   ersetzt.   „Vielleicht….   ein   geplatzter   Reifen?“   murmelt   er,   in   einem   Tonfall,   der   irgendwo   zwischen Hoffnung   und   Erkenntnis   pendelt.   Er   lenkt   den   Wagen   beherzt   an   den   Strassenrand,   wo   natürlich   kein   Standstreifen   ist, aber immerhin wenig Verkehr, Wind von links, Wyoming eben.
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Feierabend Lagerfeuer
South Dakota
Wyoming
Seine zügige Diagnose: Rechter Reifen samt Felge ist hinüber. Nicht beleidigt. Nicht schlapp. Nein, regelrecht explodiert. Da hängt er, zerfetzt wie ein Luftballon. Durch die Wucht hat er einen Teil der Unterboden-Isolierung herausgerissen, die nun ebenfalls in Fetzen vom Boden des Wohnwagens herunterhängt. Aber das gehört wohl zur Dramaturgie eines guten Roadtrips.
Und   jetzt   kommt   Ingo,   der   McGyver   des   Mittleren   Westens.   Sonnenbrille   auf,   Werkzeugkiste   raus,   kein   Zweifel   in   der Miene.    Wenn    MacGyver    aus    Kaugummi    einen    Hubschrauber    bauen    kann,    dann    kann    Ingo    aus    diesem    antiken Reservereifen,   einem   Wagenheber   und   einigen   Hölzern   definitiv   wieder   ein   rollendes   Gefährt   machen.   Und   dann   beginnt das   Schrauben.   Das   Heben.   Das   Schwitzen.   Alles   geht   gut,   bis….   eine   Mutter   nicht   mitspielt.   Sie   sitzt   fest.   Festgerostet wie   ein   alter   Gedanke.   Und   Ingo?   Der   hatte   –   in   einem Anflug   göttlicher   Vorahnung   –   zu   Beginn   der   Reise   in   richtig   gutes Werkzeug   investiert.   Kein   Baumarkt-Billigzeugs,   sondern   echtes   Eisen,   so   schwer   und   zuverlässig   wie   der   Handschlag eines   Cowboys.   Ich   war   überhaupt   nicht   begeistert   von   dem   umfangreichen   Investment.   Jetzt   bin   ich   es.   Denn   nach   ein paar   Flüchen   und   einem   Gesichtsausdruck,   der   nur   mit   „Schrauben   oder   Sterben“   zu   beschreiben   ist,   war   die   Mutter gelöst.
Und   in   dem   ganzen   Schlamassel   gibt   es   trotzdem   drei   positive   Nachrichten:   In   200   Metern   Entfernung   befindet   sich zufällig   ein   Parkplatz.   Und:   Wir   haben   einen   Reservereifen   dabei. Alt   ist   er,   ja,   so   alt,   dass   er   wahrscheinlich   Geschichten aus   dem   Wilden   Westen   erzählen   kann,   aber   immerhin,   es   gibt   ihn.   Und:   die   Seite   mit   dem   kaputten   Reifen   ist   auf   der Schattenseite.   Langsam   rollen   wir   hinüber   zur   Parkbucht.   Der   Wagen   hoppelt   nur   noch   auf   der   Felge,   als   hätte   er   ein Holzbein.
Um   12:12   Uhr   rollen   wir   wieder.   Ich   weiss   es   deswegen   so   genau,   weil   ich   wieder   zufällig   auf   die   Uhr   sehe.   Wir   rollen   also. Diesmal   vorsichtig,   mit   einem   neuen   Respekt   für   Strassen,   Reifen   und   Glück.   Und   mit   einem   gewissen   Stolz   –   wie   zwei Cowboys,   die   ein   Duell   überlebt   haben.   Unser   nächstes   Ziel   ist   ein   Reifenhändler   in   Casper.   Und   zwar   nicht   irgendein Reifenhändler,   sondern   Les   Schwab,   der   angeblich   beste   Reifenladen   ganz   Amerikas   –   empfohlen   von   unserem   Freund Jan,   der   Dinge   sagt   wie:   „Da   fühlen   sich   sogar   die   Reifen   selbst   willkommen.“   Und   tatsächlich.   Noch   bevor   wir   ganz ausgestiegen   sind,   kommt   ein   attraktiver   junger   Mann   aus   dem   Verkaufsbüro   auf   uns   zugelaufen.   Wir   werden   behandelt, als   wären   wir   längst   angemeldet   und   schon   auf   der   Gästeliste   für   den   roten   Teppich   der   Reifenwelt.   Leider   hat   genau diese   Filiale   keinen   passenden   Reifen.   Aber   jetzt   kommt   der   magische   amerikanische   Kundenservice:   Sie   rufen   bei   einer anderen   Filiale   in   der   Stadt   an.   Ein   bisschen   fühlt   es   sich   an   wie   ein   geheimer   Reifen-Orden:   „Zwei   durchreisende Wohnwagenfahrer   mit   heissem   Gummi.   Wir   brauchen   sofort   Verstärkung.“   Und   zack   –   Adresse,   Termin,   Kaffee?   Kein Problem. In   der   grossen   Filiale   warten   dann   zwei   neue   Reifen   auf   uns.   Damit   der   Wohnwagen   zukünftig   so   richtig   rund   läuft,   lassen wir   gleich   beide   Reifen   wechseln   –   für   500   Dollar,   was   sich   ungefähr   so   anfühlt,   als   hätten   wir   uns   spontan   entschieden,   in Bitcoins   zu   investieren. Aber,   jeder   Cent   fühlt   sich   richtig   an.   Wie   ein   Ticket   zurück   in   die   Freiheit   der   Strasse.   Neu   bereift, etwas erleichtert, sehr verschwitzt, aber auch verdammt glücklich.
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