27. August 2013 Mexiko, Chamula – Korrupt

Korruption im juristischen Sinne ist der Missbrauch einer Vertrauensstellung in Verwaltung oder Organisation, um einen materiellen oder immateriellen Vorteil zu erlangen. Doch ist eine solche Stellung tatsächlich notwendig, um Bestechlichkeit an den Tag zu legen? Wir haben da unsere eigene Erfahrung gemacht.

Schrilles Pfeifen ertönt hinter uns, als wir den Plaza der berühmten Chamula Kirche überqueren. Wir haben heute Morgen zeitig San Cristobal de las Casas verlassen, um den vor uns liegenden Weg nach Norden fortzusetzen. Mein Blick in den Rückspiegel zeigt einen untersetzten Mexikaner, der keuchend hinter unseren Motorrädern herrennt. Seine fleischigen Hände wedeln in der Luft und erneut steckt er seine Trillerpfeife in den Mund, um uns zum Anhalten zu zwingen.

Am Rande des Vorplatzes bringen wir unsere Motorräder zum Stehen und zeitgleich steht der schwer atmende Mexikaner neben uns. Sein dicker Zeigefinger wechselt von meinem Brustbein zu Ingos und mit lauter Stimme klagt er uns an: „Ihr seid über den Plaza gefahren! Das ist verboten!“  Mein fragender Blick wandert von links nach rechts auf der Suche nach den Verbotsschildern. Ich kann kein Einziges entdecken. „Hier, an jeder Ecke steht es geschrieben!“ Der Einheimische deutet hektisch auf die handgemalten Hieroglyphen, die ich aus der Entfernung lediglich als Farbkleckse ausmachen kann. „Uiuiui, die haben wir gar nicht gesehen!“ antworte ich mit gespieltem Entsetzen. Doch das beeindruckt den Mexikaner nur wenig. Seine Stimme wird lauter: „Das ist verboten!“  Was mich erstaunt, ist die Selbstverständlichkeit des Dorfbewohners, uns in die Regeln der Gemeinde einzuweisen. Er ist weder ein Polizist noch macht er den Anschein eines offiziellen Ordnungshüters. In diesem Ort haben jedoch die Indios eine parallele Ordnungsmacht zur regulären Polizei installiert.

Mittlerweile haben sich etwa ein Dutzend weiterer Indios um uns versammelt und die Stimmung ist angeheizt von den Wortgefechten, die hin und hergehen. Ich habe bereits mehrmals die Grösse der Zeichen kritisiert. Wir konnten sie gar nicht sehen. Was regt sich der Typ eigentlich so auf? Wir sind doch nicht mit Panzern über den blöden Plaza gefahren! Bereits zum 5. Mal leiert er seinen Text herunter. „Es ist verboten, hier darf man nicht fahren!“ Und dann kommt er zur Sache: „Das kostet 300 Pesos! 150 für jedes einzelne Motorrad!“ Seine Augen blitzen mich streitlustig und erwartungsvoll an. Das kann ja wohl nicht wahr sein, daher weht also der Wind. Ich blicke zu Ingo, der genervt die Augen in die Höhe dreht. „Lass uns doch einfach losfahren!“ lautet sein Vorschlag. Doch die Emotionen kochen und ich kann die Mexikaner noch nicht einschätzen. Wir haben erst vor 2 Tagen in El Ceibo die Grenze von Guatemala nach Mexiko überquert und ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, ob sie Waffen bei sich tragen oder zu anderweitigen Boshaftigkeiten in der Lage sind. Ausserdem befinden wir uns mitten im belebten Zentrum der Ortschaft. Zahlreiche Mototaxis versperren die Strassen und eine Flucht wäre aufgrund der Menschenmassen gar nicht möglich.

„Wir gehe zur Touristenpolizei!“  wende ich mich an unseren kleinen dicken Gegenüber. Wieder funkeln mich seine tiefen,  schwarzen Augen an. „Ich bin die Polizei!“ Er ist ein untersetzter Mann, der aussieht, als sei er keinen Widerspruch gewöhnt. Doch die Korruption steht ihm ins Gesicht geschrieben wie einer Katze die Schnurrhaare. „Und mein Vater ist Supermann!“ antworte ich ihm, allerdings in meiner eigenen Sprache. „Du kannst ruhig gehen. Dort drüben ist das offizielle Polizeigebäude. Dann kannst Du noch mehr bezahlen!“ Plötzlich beginnt er, mit seinem Funkgerät zu hantieren und mit einer imaginären Person am anderen Ende der Leitung Kontakt aufzunehmen. Etwas Kaltes schlängelt sich über meinen Rücken und verschwindet genauso schnell wieder, nicht jedoch ohne ein schwaches Gefühl der Beklommenheit nach sich zu ziehen, wie die Schleimspur einer Schnecke.

In einem Punkt bin ich mir sicher. Ich will keinen Ärger. Weder mit der Polizei noch mit irgendwelchen selbst ernannten Sherriffs. Ich ziehen mein Portemonnaie aus der Mopedjacke und halte dem zwielichtigen Ordnungshüter einen 200 Pesos-Schein unter die Nase. „Das ist das Maximale was wir zahlen! Keinen Peso mehr!“ Den Blick auf den Mexikaner geheftet brodeln meine Gedanken mittlerweile genauso heftig wie ein grosser Topf Linseneintopf. Ich bin stocksauer, doch unter der Maximalausschüttung meiner gesamten Adrenalinreserven fällt mir beim besten Willen keine andere Lösung ein. Und auf eine mexikanische Gefängniszelle bin ich nun weiss Gott nicht scharf. Der wedelnde Geldschein tut seine Wirkung. Wohlwollend beendet mein Gegenüber sein Walky-Talky-Gespräch und schnappt nach dem Geldschein wie ein Hund nach einem Stück Fleisch. „Bueno,“ meint er, „dann ist die Sache ja erledigt.“

Für mich allerdings nicht. „Ich möchte noch eine Quittung über den Geldbetrag!“ Ich habe den Satz kaum beendet, als zwei Dinge nahezu zeitgleich passieren. Die schwarzen Indio-Augen treffen mich erneut wie ein Blitz und Ingo tritt mir mit einer solchen Intensität auf meinen rechten Fuss, dass ich mir in diesem Moment sicher bin, alle 5 Zehen gebrochen zu haben. „Todo bien, todo listo!“ korrigiere ich meine Voreiligkeit und verheddere beim Helmaufsetzen die Kinnriemen vor lauter Eile. Ingos Motor heult bereits auf und ohne die Kirche von innen gesehen zu haben, hinterlassen wir lediglich eine Staubwolke auf dem Vorplatz, die noch für ein paar wenige Sekunden an den unangenehmen Vorfall erinnert. Doch genauso schnell wie wir sie aufgewirbelt haben, verschwindet sie wieder. Ähnlich wie die Indios, von denen mittlerweile kein einziger mehr in Sichtweite ist. Als seien sie vom Winde verweht….

Palenque

Palenque

Misol-Ha

Weg nach San Cristobal de las Casas. Der frühe Start wird mit fantastischen Aussichten belohnt.

Aqua Azul

Hotel Fray Bartolome in San Cristobal de las Casas. Einfache, aber stilvolle Unterkunft.

San Cristobal de las Casas

 

Wetter:

23 Grad, Sonne und Regen

 

 

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