Santiago de Chile, Fettnäpfen Nummer 1

Santiago de Chile ist die Hauptstadt Chiles mit 5 Millionen Menschen. Ca. 35% aller Chilenen leben in oder um Santiago herum und die Stadt wächst jährlich um 100.000 Einwohner.

Nun sind wir also tatsächlich in Santiago de Chile gelandet. Nach anfänglicher Überforderung durch Dinge, die dringend erledigt werden wollten (Mittagsschlaf, Stadtbummel, Bier trinken) findet sich nun doch endlich die Zeit, eine kleine schriftliche Einleitung für unser Grossprojekt „Südamerika“ zu verfassen. Aber glaubt mir, dies geht allein zu Lasten des äusserst spannenden Krimis von Robin Cook „Der Experte“. Ein Krankenhausthriller in dem ich an meinen monatelangen Pathologieunterricht zurückerinnert werde. Bewaffnet mit seinem Hass und seinen Kenntnissen als Biochemiker, entwickelt der Russe Yuri Davydov die Spielart eines Virus, das in Sekunden zum Tode führt. Die Rede ist von Anthrax, dem Milzbranderreger, der durch Sporen übertragen wird. Eigentlich wollte er das Bakterium Clostridium Botulinum verwenden, doch die Kultur gedeiht ausschliesslich unter Sauerstoffausschluss und nimmt für sein tödliches Vorhaben zu viel Zeit in Anspruch. Oh, ich glaube, ich bin mal kurz abgeschweift…

Für Sonntag nehmen wir uns den Cerro San Cristobal vor. Eine riesengrosse Christusstatue auf einem der umliegenden bewaldeten Hügel, von der uns 400 Höhenmeter trennen. Wir marschieren los. Für einen Sonntagmorgen sind erstaunlich viele Menschen unterwegs und nach kurzer Strecke sind wir bereits umgeben von tausenden von Chilenen. Wie wir herausfinden ist heute Maria Empfängnis, ein christlicher Feiertag, der von Jung und Alt dazu genutzt wird, um Busse für begangene Sünden abzulegen in Form einer schweisstreibenden Bergbesteigung.

Auch uns läuft bereits nach kurzer Zeit die Brühe herunter bei ungewohnten Temperaturen um die 30 Grad. Immerhin haben wir die Schweiz bei Minusgraden und Schnee verlassen. Mit Resten von Weihnachtsmarkt-Glühwein in den Adern versuchen wir unser kochendes Blut mit viel Wasser zu beruhigen.

Ein einladendes Cafè entschädigt auf dem Rückweg für die Anstrengung. Auf uns wartet ein schattiges Plätzchen mit frischgepresstem Orangensaft (Nectar de Naranja fresca). Ich wundere mich nur, wie der Kellner so schnell herausfindet, dass spanisch nicht unsere Muttersprache ist. Ungefragt reicht er uns die englische Speisekarte und ich bin fast ein bisschen beleidigt. Gerne hätte ich einen frischen knackigen Salat bestellt, doch am zweiten Tag im Lande will ich meinem Magen noch nicht zu viele unbekannte Keime präsentieren und ich entscheide mich für das Paprika-Ratatouille. Der Kellner vergleicht in der spanischen Karte die korrekte Bezeichnung für das Gericht um es in die Küche weiterzugeben.

Er beginnt, verschiedene Fläschchen und Schälchen mit Sossen auf unserem Tisch anzurichten: scharfe Chilisauce, eine Art Maggie, Balsamico-Essig und Olivenöl. Ich bin erstaunt, in welcher Zusammenstellung die Chilenen offensichtlich ihren Gemüseteller in Form von Ratatouille geniessen, denke mir aber nichts dabei. Grosse Augen bekomme ich erst, als mein Gericht serviert wird. In perfekter Kreation liegen auf der einen Hälfte des Tellers hauchdünne Stücke mageren Rindfleisches, das in rohem Zustand als kleiner Turm aufgestapelt wurde. Eine kleine Menge Kapern, gehackte Zwiebeln und Kartoffelspalten runden das Erscheinungsbild ab.

Ich betrachte das Gericht von allen Seiten und zweifle an mir und meinen Kenntnissen in Sachen Nahrungsmitteln. Kann es sein, dass Chilenen einen rohen Fleischhaufen als Ratatouille bezeichnen? Oder hat das Restaurant einen Übersetzungsfehler in der Speisekarte begangen? Tatsache ist, ich kann hiermit noch nicht einmal annähernd einen Kompromiss eingehen. Rohes Fleischwäre wirklich zu viel für meine arme Magenschleimhaut.

Ich lasse mich auf eine Diskussion mit dem ausschliesslich spanisch sprechenden Kellner ein. Geduldig und zurückhaltend erkläre ich ihm, dass ich erst kurz im Land sei und noch nicht alle kulinarischen Gewohnheiten des Landes kenne. Es mag sein, dass Ratatouille in Chile mit Fleisch serviert werde, aber im Westen würde man hier eigentlich nur einen Teller voll Gemüse erwarten. Eifrig holt er die spanische Karte zum Tisch herüber und zeigt mir die entsprechende Zeile in der aufgelisteten Variation der Gerichte. Er deutet auf den Namen „Tartaro“ und wechselt mit seinem Finger immer wieder von der englischen auf die spanische Speisekarte: Tartaro - Ratatouille - Tartaro - Ratatouille - Tartaro ……. Unglaublich, für mich ist der Unterschied zwischen Tartar und Ratatouille so gross wie Himmel und Hölle, Tag und Nacht, ja eben wie Fleisch und Gemüse. Aber fast hätte ich es ihm geglaubt…

Na, könnte Ihr Euch des Rätsels Lösung vorstellen? Genau! Er hat sich in der Zeile geirrt. Der Tartar erscheint sowohl in der spanischen als auch in der englischen Speisekarte unter der Zeile mit dem gemischten Gemüse. Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich darüber bin. Habe ich doch sehr an meinem Spanischunterricht der vergangenen 10 Jahre gezweifelt.

 

Wetter:

30 Grad, Sonne

 

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